IST ALLES EINE SACHE DER GENE?  

Nora Berg

Schwarze Läufer werden wohl auch in Sydney den weißen davonrennen. Ein neues Buch will die alte Frage beantworten, warum sie so überlegen sind

Fakt ist: Die besten Läufer sind mehrheitlich schwarzer Hautfarbe. Nobelpreisträger mehrheitlich weiß. Was schließen wir daraus? Dass Menschen afrikanischen Ursprungs größere körperliche Fähigkeiten mitbringen und Menschen europäischer Herkunft eher intellektuelle Kapazitäten? Oder sind Schwarze im Sport deshalb dominant, weil ihnen die Tür zu anderen Lebensbereichen nicht ganz so weit offen steht?

Die Frage ist so heikel wie interessant, Literatur dazu rar. Nun ist in Amerika "Taboo: Why Black Athletes Dominate Sports And Why We're Afraid To Talk About It" erschienen. Es stellt den ehrenwerten Versuch an, zwei Schulen und ihre jeweiligen Argumente zu einen: Biologen und Soziologen, "Natur" und "Kultur", genetische Anlagen und soziales Umfeld - um sich letztlich doch dem neunfachen Olympiasieger Carl Lewis und dem Unaussprechlichen anzuschließen: "Körperlich sind wir Schwarzen in vielen Fällen besser ausgestattet."

Auch der "Taboo"-Autor Jon Entine geht zunächst davon aus, dass Schwarze genetisch vererbte Vorteile unter anderem in punkto Muskelaufbau, Hormonhaushalt und Reaktionszeit genießen. Der Journalist räumt allerdings ein, dass individuelle Lebensbedingungen diese kleinen, jedoch auf leistungssportlicher Ebene bedeutsamen Unterschiede verstärken können. Ohne hartes Training etwa seien physische Vorzüge bedeutungslos. Entine würdigt damit die Leistung als Leistung und tut sie nicht als Frage des Gen-gegebenen Talents ab: Natur allein macht noch keinen Olympiasieger.

Zur Untermauerung seiner These führt er Zahlen und zahlreiche Beobachtungen an: 57 Prozent der Weltbevölkerung sind Asiaten, die aber in Sportarten wie der Leichtathletik kaum Erfolge aufweisen. Wogegen nur jeder achte Erdenbürger schwarz ist, aber mehr als 70 Prozent aller Bestzeiten schwarze Läufer innehaben. Das letzte Mal, dass ein Sprinter mit europäischen Wurzeln einen Weltrekord über 100 Meter aufgestellt hat, ist 40 Jahre her: Der Mann, ein Deutscher, heißt Armin Hary.

Entine schließt sich jenen Anthropologen an, die die Entstehung von Adam und Eva vor etwa 200000 Jahren in Afrika vermuten. Von dort aus seien die Völker gewandert und hätten sich, je weiter von ihrer Wiege entfernt, in ihren Anlagen modifizieren und an eine veränderte Umwelt anpassen müssen. Genetisch gesprochen sei dadurch eine grobe Zweiteilung in Afrika und den Rest der Welt legitim. Im Detail differieren aber auch die physischen Vorzüge der Afrikaner. Schwarze westafrika-nischen Ursprungs (also auch die meisten schwarzen US-Amerikaner) reüssieren insbesondere in schnellkräftigen Disziplinen wie dem Sprint aufgrund ihrer guten muskulären Ausstattung. Auf den Langstreckendistanzen indes dominieren Ost- und Nordafrikaner, die über größere aerobe Ausdauer verfügen.

Dass diese Vorzüge nicht allein durch Äußerlichkeiten wie Klima und Höhe bedingt sind, sondern sich in einem genetischen Code innerhalb einer Gruppe weitervererbt haben, meint Entine mit Verweis auf schwarze Babys belegen zu können. Diese würden sich schneller entwickeln als weiße Säuglinge - im Schnitt etwa könnten sie einen Monat früher gehen.

SO GUT RECHERCHIERT und ausgewogen diskutiert sich dieses Buch auch gibt, Jon Entine argumentiert mit dem Augenschein, den eigentlichen Beweis für seine Aussagen bleibt er schuldig. "Taboo" hat deshalb heftige Reaktionen ausgelöst. "Genforscher heute", schreibt die "New York Times", "wissen kaum, wie Größe und Gewicht von Flöhen genetisch verankert sind", wie sollten sie dann derart komplexe Rätsel der menschlichen Spezies lösen?

Vielleicht ist die Ausgangsfrage ohnehin bald hinfällig. Das australische Magazin "Outside" hat jüngst die Diskussion dahingehend weitergedreht, dass Erfolge auf Top-Niveau gar nicht mehr mit Evolution zu begründen sind. Der Körper sei ausgereizt, Rekorde würden nur noch dank ausgetüftelter Materialien und Trainingsmethoden fallen können oder mit dem noch ungeahnten Manipulationspotenzial der Medizin: Wenn etwa Gen-Doping erst möglich ist, dann sei es belanglos zu analysieren, wen die Natur bevorteilt.

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