Sydney 2000

Der Erfolg ist schwarz

Läufer mit afrikanischen Wurzeln dominieren vom Sprint bis zum Marathon sämtliche Laufstrecken. Wer den Gründen nachgeht, muss mit Empörung rechnen.

Von Elmar Wagner

Einem Exzentriker wie Maurice Greene werden die Tage besonders schnell lang. Also machte sich der amerikanische Supersprinter in Sydney auf die Suche nach ein bisschen Abwechslung - und wurde in einem Kinderhort fündig. Zusammen mit seinem Kumpel Jon Drummond spielte er zuerst den Clown, dann sprinteten sie mit zwei Mädchen im Rollstuhl durch die Gänge. Greene gewann das Rennen. Einfach cool, die beiden Typen.

Es sieht gut aus für den 100-Meter-Final. Greene wird auch dort locker sein, unbeirrt, siegessicher. Schliesslich ist er der Olympiafavorit Nummer eins. Neben seiner Hauptrolle ist nur noch eines sicher: die sieben Nebendarsteller im samstäglichen Final werden allesamt von schwarzer Hautfarbe sein, ursprünglich verwurzelt in Westafrika. Gewagt ist diese Prophezeiung nicht - schon in den letzten vier olympischen Sprintfinals knieten ausschliesslich Schwarze in den Startblöcken.

Wer keinen dunklen Teint hat, ist als Sprinter völlig chancenlos. Zwar gab es da mal einen weissen 200-Meter-Weltrekordler namens Pietro Mennea. Doch das ist schon zwei Jahrzehnte her, und selbst Mennea fand in seinem Stammbaum afrikanische Vorfahren. Aktuelle Tatsache ist, dass die besten 200 Zeiten über die kurze Sprintdistanz ausschliesslich von Schwarzen gelaufen wurden. Allein Greene trug deren 30 dazu bei. Und noch nie in der Geschichte der Leichtathletik schaffte es ein Weisser, die 100 Meter unter 10,0 Sekunden zu laufen. Erdrückend, diese stetig wachsende afrikanische Dominanz.

«Ganz einfach», sagt Dave Dollé, der Schweizer Rekordsprinter von schwarzer Hautfarbe. Ganz einfach sei die Erklärung für dieses Phänomen. «Weil alle Vorbilder im Sprint schwarz sind, eifern vor allem schwarze Kinder den Idolen nach. Weisse suchen von vornherein einen anderen Sport.» Der Schweizer Nationaltrainer Urs Wegmann sieht einen anderen Grund: «Schwarze Sprinter sind mental im Vorteil. Sie können sich enorm entspannen und im entscheidenden Moment explodieren.» Und dann führt er noch den sozialen Ansatz ins Feld: «Spitzensport ermöglicht ihnen die Flucht aus dem Ghetto.»

Weit daneben, winkt Jon Entine ab. In seinem Buch «Taboo» behauptet der 47-jährige Amerikaner, schwarze Athleten seien genetisch überlegen. Und das nicht nur im Sprint, sondern in sämtlichen Lauf- disziplinen. Die Statistik gibt ihm Recht: Die Liste der Weltrekorde führt keinen einzigen Läufer auf, der seine Wurzeln nicht in Afrika hätte.

Der letzte Exote in diesem Ranking war der weisse Brite Sebastian Coe über 1000 Meter. Doch seit der kenianische Jüngling Noah Ngeny 1999 in Rieti die 18-jährige Bestmarke pulverisiert hat, erscheint das Ranking in einheitlicher Farbe. Und das, obwohl die Schwarzen nur rund zwölf Prozent der Bevölkerung ausmachen. Das macht neugierig.

Studien über die Unterschiede zwischen weissen und schwarzen Athleten gibt es seit den Zwanzigerjahren. Die Erkenntnisse der Forschung sind erstaunlich homogen. Demnach haben Schwarze mit westafrikanischen Wurzeln eine grössere Knochenmasse, was auf eine grössere Muskelmasse hindeutet. Diese weist mehr «schnelle» Muskelfasern und mehr anaerobe Enzyme auf, was wiederum die Explosivität erhöht. Ausserdem sind Testosteron- und Wachstumshormonspiegel bei schwarzen Männern leicht höher. Und Afrikaner haben proportional längere Beine, breitere Schultern und schmalere Hüften.

Genetische Unterschiede sind auch unter den afrikanischen Athleten selber auszumachen. Spitzensportler ostafrikanischen Ursprungs - zum Beispiel Kenianer - haben eine grössere Lungenkapazität, mehr «langsame» Muskelfasern, ein schmaleres Körperprofil und verfügen über eine effizientere Umsetzung von Sauerstoff. Zu erklären sind diese Differenzen mit dem Umstand, dass sich die westafrikanische Bevölkerung im Tiefland entwickelte, während sich die Ostafrikaner in bergigem Terrain behaupten mussten.

Die Summe dieser Faktoren lässt erkennen, weshalb Ost- und Nordafrikaner die längeren Laufdistanzen dominieren (die Nordafrikaner stehen den Ostafrikanern genetisch nahe). Während der Westafrikaner nach rund 45 Sekunden intensiver anaerober Belastung am Ende ist, bringt der Kenianer oder der Marokkaner seine aeroben Fähigkeiten erst dann zum Tragen. Daher verläuft die Trennlinie zwischen west- und ostafrikanischen Topleistungen hinter der 400-Meter-Marke.

Interessanterweise ist in den Studien kaum etwas über die Frauen jener afrikanischen Regionen zu finden. Allerdings lässt sich Ähnliches erwarten wie beim anderen Geschlecht. Dies jedenfalls suggeriert die Statistik internationaler Titelkämpfe. Diese offenbart gleichzeitig, dass die Entwicklung in den Frauen-Laufdisziplinen zeitlich hinter jener der Männer liegt. Der Anteil der weissen Topsprinterinnen sinkt nur langsam - vor allem die Athletinnen aus der ehemaligen Sowjetunion schaffen es nach wie vor in die Finalrennen grosser Anlässe.

So oder so ist es heikel, den Rassenaspekt des Sports zu thematisieren. Politisch korrekt ist einzig die Floskel, wonach Schwarze den Spitzensport dominieren, weil sie anderswo zu wenig Möglichkeiten haben. Gegen diese These wagte erstmals der populäre CBS-Kommentator Jimmy Snyder anzureden. 1988 erdreistete er sich, am TV laut über Umfang und Bedeutung schwarzer Oberschenkel nachzudenken.

Sofort ging ein Proteststurm los. Schliesslich war das Projekt der Gleichbehandlung gefährdet, weil plötzlich die Möglichkeit in der Luft lag, dass die Menschen unter der Haut doch nicht alle gleich sind. Ob dieser Aussichten geriet sogar der frühere Tennis-Champion Arthur Ashe, erster schwarzer Gewinner eines Grand-Slam-Turniers, ins Schwitzen: «Mein Herz sagt Nein, doch mein Kopf sagt Ja. Ich muss annehmen, dass wir Schwarzen ein kleines bisschen mehr haben.» «Ja, die Natur verschafft diesen Athleten einen bestimmten Vorteil. Das allerdings muss noch nichts über die effektiven Fähigkeiten eines Wettkämpfers aussagen», schränkt Lindsay Cartner, eine Physiologin der San Diego State University, ein.

Die Unsicherheit hat sich auch jetzt, nach Entines Buch «Taboo», nicht gelegt. In den USA geht die Angst um, dass es zum gefundenen Fressen für Rassisten werden könnte. Jedenfalls empörte sich schon mal der Soziologe Harry Edwards von der University of California/Berkeley: «Die Behauptung, wonach die Schwarzen körperlich überlegen seien, impliziert, dass die Weissen intellektuell voraus sind. Das ist gefährlich.» Den Schwarzen den Körper, den Weissen den Geist?

Derweil beteuert der schwarze Schweizer Sprinter Dave Dollé, dass er nichts in die Wiege gelegt bekommen habe. «Auch ich musste für meine Erfolge hart trainieren.» Trotzdem sträubte es den nationalen Gegnern schon bei seinem Anblick häufig die Haare. «Wenn ich, beispielsweise im kanariengelben Anzug, auf dem Wettkampfplatz auftauchte, sagten die sich: «Da können wir gleich einpacken.»», erzählt er. Bisher hat es selbst Dollé nicht an die Olympischen Spiele geschafft. Welche Motivation soll da schon seiner weissen Konkurrenz bleiben? «Für sie wäre schon das Europameisterschaftshalbfinale das Grösste», sagt Nationaltrainer Wegmann.

Da hat Maurice Greene schon andere Ziele. Nach dreijähriger Regentschaft über die 100-Meter-Strecke will er jetzt olympisches Gold. Nicht so sehr der Medaille, sondern des Geldes wegen. Schliesslich baut er in der Nähe von Los Angeles eine 1000 Quadratmeter grosse Villa. Da dürfte bei Langeweile auch genügend Platz für das eine oder andere Rollstuhlrennen sein. Und vielleicht lässt Greene ja wenigstens da mal einen Weissen gewinnen.

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Siegerpose: Die 4x100-Meter-Staffel der USA mit Maurice Greene, Curtis Perry, John Drummond und Curtis Johnson.

Sprint: Dominiert von Athleten mit westafrikanischen Wurzeln wie US-Weltrekordler und Olympiafavorit Maurice Greene.

Langstrecken: Dominiert von Ostafrikanern wie Haile Gebrselassie (r.)

Alle Lauf-Weltrekorde an Schwarze

Disziplin Athleten Zeit Jahr ursprüngliche Herkunft

100 m Maurice Greene (USA) 9.79 1999 Westafrika

4x100 m Marsh/Burrell/Mitchell/Lewis (USA) 37.40 1992 Westafrika

110 m Hürden Colin Jackson (England) 12.91 1993 Westafrika

200 m Michael Johnson (USA) 19.32 1996 Westafrika

400 m Michael Johnson (USA) 43.18 1999 Westafrika

4x400 m Young/Pettigrew/Washington/Johnson (USA) 2:54.20 1998 Westafrika

400 m Hürden Kevin Young (USA) 46.78 1992 Westafrika

800 m Wilson Kipketer (Dänemark) 1:41.11 1997 Ostafrika

1000 m Noah Ngeny (Kenya) 2:11.96 1999 Ostafrika

1500 m Hicham El Guerrouj (Mar) 3:26.00 1998 Nordafrika

Meile Hicham El Guerrouj (Mar) 3:43.13 1999 Nordafrika

3000 m Steeple Bernard Barmasai (Kenya) 7:55.72 1997 Ostafrika

5000 m Haile Gebrselassie (Äth) 12:39.36 1998 Ostafrika

10000 m Haile Gebrselassie (Äth) 26:22.75 1998 Ostafrika

Marathon Khalid Khannouchi (Mar) 2:05.42 1999 Nordafrika

Schwierige Ausgangslage für André Bucher und seine weisshäutigen Läuferkollegen: Sämtliche Weltrekorde in den Laufdisziplinen der Männer werden von Athleten mit schwarzer Hautfarbe gehalten. Westafrikaner sind Sprinter, Ost- und Nordafrikaner Langstreckenläufer.

Genetische Differenz

Wer wo stark ist

Unter verkehrten Vorzeichen dominieren Asiaten und Weisse andere Sportarten als Schwarze.

Schwarze dominieren die Laufdisziplinen. Auch im Basketball und Football sind sie in der Überzahl. Obwohl die Afroamerikaner nur 13 Prozent der amerikanischen Bevölkerung ausmachen, sind 80 Prozent der NBA-Spieler und 65 Prozent der NFL-Spieler schwarz. Das hat auch mit ihren Schnellkraft-Fähigkeiten zu tun: In der National Basketball League sind sie die führenden Skorer und Rebounder; in der National Football League profilieren sie sich in den «schnellen» Positionen.

«Die Unterschiede zwischen den Topathleten sind so klein, dass eine möglicherweise genetisch bedingte Differenz sehr entscheidend sein kann», sagt der Anthropologe Robert Malina von der Michigan State University. Das führt unter verkehrten Vorzeichen dazu, dass Weisse oder Asiaten andere Sportarten dominieren. Weisse von eurasiatischer Abstammung etwa zeichnen sich durch einen eher breiten, muskulösen Oberkörper sowie relativ kurze Beine und Arme aus. Diese Proportionen bevorteilen sie als Gewichtheber, Ringer oder Hammerwerfer.

Ostasiaten hingegen haben einen längeren Oberkörper mit einer dickeren Fettschicht und kürzeren Extremitäten. Das macht sie langsamer und weniger stark als Weisse oder Schwarze - dafür beweglicher. Entsprechend häufiger sind Ostasiaten im Kunstturnen, Wasserspringen und Eiskunstlaufen erfolgreich. Als Hochspringer etwa sind sie aber benachteiligt: In den «ewigen» Top 50 ist weder eine Asiatin noch ein Asiat zu finden.

Gewichtheber Halil Mutlu: Kurze Beine, kurze Arme.

© Facts; 2000-09-21; Seite 144; Nummer 38